Festhalten oder loslassen? Die Kraft eines Moments

Veröffentlicht am 19. Juni 2023 um 22:45
Im Alltag gehen die Momente so schnell vorbei, dass ich manchmal gar nicht weiß, was währenddessen passiert ist. (Foto: Jenelle/Unsplash)

Hast du dich auch schon mal gefragt, wohin die Zeit verflogen ist? Mir geht es oft so. Im Alltag gehen die Momente so schnell vorbei, dass ich manchmal gar nicht weiß, was währenddessen passiert ist. Jede Sekunde unseres Lebens geschieht etwas und wir nehmen Eindrücke auf, die unser Gehirn verarbeiten muss.

 

Selbst beim Nichtstun passiert etwas, nämlich die Gedanken, die durch meinen Kopf schwirren; die Fliege, die am Fenster krabbelt und summt oder die Blume, von der ein Blütenblatt herabfällt. Ist das bedeutend? Ich denke, das kann man nicht pauschal sagen. Das ist immer eine individuelle Angelegenheiten. Einer misst einem Ereignis eine Bedeutung bei, ein anderer nicht. Ich nehme gerne kleine Momente, scheinbar Unbedeutendes auf.

 

Ein Moment kann alles verändern

Unauslöschlich bewahre ich den Moment auf, als ich im Frühling auf dem Federseesteg gesessen war und die Ruhe der Landschaft in mich aufgenommen habe. Das hat mir unheimlich viel Kraft und Zuversicht verliehen. Oder den Moment, als mir meine Tochter zum ersten Mal ein kleines Sträußchen Gänseblümchen gepflückt und mit den Worten "für dich" überreicht hatte. Oder an jenen Abend, als wir in der Stadt spazieren waren als ein Gewitter aufzog. Erste Regentopfen fielen auf uns herab. Wir haben das Auto erreicht, kurz bevor der Starkregen einsetzte. Es erfüllte mich mit tiefer Zufriedenheit zuzusehen, wie das Wasser unablässig auf die Scheibe trommelte und in kleinen Rinnsalen daran hinabrannen.

 

Blick auf den Holzsteg am Federsee. Er führt etwa 1,5 Kilometer entlang der Uferzone, die mit Schilf und Gräsern bewachsen ist. Der Federsee ist ein Naturschutzgebiet etwa 50 Kilometer nördlich des Bodensees, eingebettet in die hügelige Moränenlandschaft.

Blick auf den Holzsteg am Federsee. Er führt etwa 1,5 Kilometer entlang der Uferzone, die mit Schilf und Gräsern bewachsen ist. Der Federsee ist ein Naturschutzgebiet etwa 50 Kilometer nördlich des Bodensees, eingebettet in die hügelige Moränenlandschaft. (Foto: Dorothea Fischer)

 

Manchmal fällt es mir schwer, nicht in Wehmut zu versinken und an diesen erinnerungswürdigen — und dann doch nicht mehr so kleinen, sondern entscheidenden — Momenten des Lebens hängenzubleiben. Sie sind umgeben von rosaroten Wolken. Selbst die Situationen, die schreckliche, zuvor unvorstellbare Konsequenzen nach sich zogen, sind im Rückblick wie weich gezeichnet. Und zeigen mir, dass jeder noch so kleine Augenblick im Leben eine gewichtige Bedeutung hat.

 

"Verstehen kann man das Leben oft nur rückwärts,
doch leben muss man es vorwärts. “

Søren Aabye Kierkegaard

 

Mit allen Sinnen

Einen für mich bedeutsamen Moment nehmen ich mit allen Sinnen waren. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass ich als Jugendliche in der Normandie am Atlantik saß und das Brechen der meterhohen Wellen, die tosend an den schroffen Felsen krachten, in mich aufnahm. Es war faszinierend anzusehen, es roch und schmeckte nach salzigem Meerwasser und es donnerte ohrenbetäubend.

 

Apropos Ohren: Ein anderer, winziger und scheinbar unbedeutender Augenblick veränderte mein Leben. Nämlich der, in dem ich einen Hörsturz hatte. Plötzlich war alles, was zuvor selbstverständlich war, unangenehm. Ich habe bis dahin zum Beispiel gerne Konzerte besucht, bin mit Musik in den Ohren joggen gegangen oder habe sie im Auto gehört und dabei die Fenster heruntergekurbelt, um den Fahrtwind zu spüren. Oder zu Hause das Radio aufgedreht und dazu getanzt, ganz für mich alleine. Das hat mir in schwierigen Phasen Energie gegeben und mich geerdet.

 

Ein Kopfhörer, Symbol für ausgelassenes Musikhören, liegt zwischen buntem Konfetti,.

Bis zu meinem Hörsturz und dem folgenden teilweisen Hörverlust habe ich gerne Musik gehört, um mich zu entspannen und zu erden. Jetzt klingt Musik anders in meinen Ohren, nicht mehr so harmonisch. (Foto: Ryan Quintal/Unsplash)

 

Eine neue Richtung für mich

Doch seit diesem einen Moment ist das vorbei. Musik klingt für mich anders, weniger harmonisch. Ich bin oft geräuschempfindlich und durch den damit einhergehenden Tinnitus in stressigen Situationen zusätzlich angespannt. Ich muss meine Grenzen erst wieder neu kennenlernen, um mir nicht zu viel zuzumuten. Das gelingt im Alltag manchmal besser, manchmal schlechter.

 

Neben all den anderen richtungsweisenden Momenten in meinem Leben war dieser für mich so bedeutend, dass ich seine Auswirkungen auch lange Zeit später noch immer nicht einschätzen kann. Und das, obwohl ich jemand bin, der äußerst ungern die Kontrolle über eine Situation aus der Hand gibt, der gerne Pläne aufstellt und es nicht leiden kann, wenn sie nicht aufgehen. Ich ziehe für mich daraus die Lektion, spontaner und bereit zu sein, das Heft aus der Hand zu geben. Und so dem Leben zu vertrauen, dass es mir auch in Zukunft viele bedeutsame Momente schenkt.

 

Auf Sinnsuche

Und das Leben hat mich gelehrt, dass ich mich intensiv damit beschäftigen muss, was der Sinn meines Lebens eigentlich ist. Wofür brenne ich wirklich und warum? Du siehst: Die winzigen Augenblicke des Lebens sind es, die ihm seine Richtung weisen. Es liegt an uns, wie wir damit umgehen und was wir daraus machen.

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