Meine Philosophie des grünen Glücks

Veröffentlicht am 23. November 2023 um 10:45
Warum gärtnern Menschen? Warum überlassen sie nicht die Natur sich selbst? Dieser Frage ich ind iesem Blogbeitrag nach. (Foto: Harry Cunningham/Unsplash)

Was fasziniert uns am Gärtnern so sehr, dass wir Rückenschmerzen und Sonnenbrand in Kauf nehmen? Dass wir uns immer wieder damit abfinden, dass Amseln und Schnecken uns die Ernte wegfressen oder wir alles unternehmen, um das zu verhindern? Ich versuche, Antworten auf die Fragen zu finden.

 

Jetzt im Herbst und Winter, wenn der Nebel den ganzen Tag lang tief über dem Garten wabert und vielleicht kein Sonnenstrahl den Weg durch die Wolken findet, oder Regen und Schnee scheinbar unaufhörlich fällt, ist es manchmal schwer an den Frühling zu glauben. Nicht nur das Wetter ist grau, auch der Garten zeigt sich kahl und braun. Es gibt kaum Grünes. Manchmal denke ich dann: Wie soll mein Garten, wie soll die Natur jemals wieder grün werden, bunt blühen und dicht bewachsen sein? Es scheint unvorstellbar und ich verliere fast das Vertrauen in den Kreislauf der Natur. 

 

"Einen Garten zu pflanzen bedeutet, an morgen zu glauben.

Audrey Hepburn

 

Und dann, wenn ich die Hoffnung fast aufgegeben habe, wird es doch wieder Frühling. Es ist nicht so, dass ich morgens aufwache und plötzlich ist er da. Er kommt wohldossiert, immer nur mit so viel ersten Knospen, ersten warmen Sonnenstrahlen, zarten Blüten, wie ich ertragen kann. Und kurz darauf ist da doch diese Explosion an Farben, Gerüchen und Frühlingsgefühlen, die mich sprachlos machen angesichts der Wunder, die die Natur imstande ist, zu vollbringen. Und so hält jede Jahreszeit ihre ganz eigenen Überraschungen bereit, die mich immer wieder zum Staunen bringen.

 

Ich liebe die Besonderheiten, die die Natur während jeder Jahreszeit zu bieten hat, im Herbst zum Beispiel, durch das bunte Laub zu stapfen. (Foto: Johannes Plenio/Unsplash)

Ich liebe die Besonderheiten, die die Natur während jeder Jahreszeit zu bieten hat, im Herbst zum Beispiel, durch das bunte Laub zu stapfen. (Foto: Johannes Plenio/Unsplash)

 

Kultivierter Garten statt wilder Natur

Warum genügt es uns nicht, die Natur beim Wachsen, Erblühen und Zurückziehen zu beobachten? Warum greifen wir ein, bestimmen Grenzen zwischen wilder Natur und einem kultivierten Garten? Auf diese Fragen gibt sicherlich nicht die eine, allgemeingültige Antwort. Jeder findet in einem anderen Aspekt seine Erfüllung.

 

Fest steht, das Gärtner ist eine jener Beschäftigungen, denen wir seit Urzeiten nachgehen. Wir sind nicht mehr darauf angewiesen, dort unsere Nahrung anzubauen. Erstaunlich, dass ich mein Glück eigentlich nur mit ein bisschen In-der-Erde-wühlen finden will und das sogleich zu den großen ethischen Fragen zur naturnahen Bewirtschaftung führt: Wie gelingt es, achtsam mit Ressourcen umzugehen? Vielfalt statt Monokultur. Wer einen Nutzgarten hat, dem fällt die erste Antwort auf die Frage nach dem Warum vermutlich leicht: "Ich gärtnere, weil ich wissen will, wo meine Nahrung herkommt. Ich weiß, wo Obst und Gemüse gewachsen sind. Es macht mich satt und glücklich, wenn ich mich daran erinnere, wie viel Arbeit ich reingesteckt haben, bis mein Essen auf dem Teller gelandet ist."

 

"Jeder Mensch braucht etwas Boden unter den Füßen, eine Hand voll Erde, um ein Pflänzchen wachsen zu lassen, und einen Baum, an den er sich lehnen kann."

Sabine Reber

 

Das führt mich gleich zur nächsten Frage: Warum kasteien wir uns selbst? Rutschen auf den Knien über nackte Erde? Nehmen jede Dorne mit, die in unseren Fingern stecken bleibt? Schuften so lange, bis wir uns vor Rückenschmerzen kaum noch bewegen können? Bin ich ein besserer, tugendhafter Mensch, wenn ich mein Stückchen Grün kultiviere?

 

Ich habe mich längst vom Wettbewerb um die größten Kartoffeln verabschiedet. Mir ist es egal, was der Mondkalender vorschreibt oder wann für andere der beste Zeitpunkt ist, die Beete zu schoren. Ich gärtnere so, wie es für mich und meinen Garten am besten passt. Ich mag den Plausch über den Gartenzaun mit meiner Nachbarin. Aber manchmal gehe ich auch in den Garten, jäte Unkraut, binde Stauden an oder ernte Gemüse, um alleine zu sein. Die Tätigkeiten in meinem Garten beruhigen mich auf eine meditative Art. In meinem Garten kann ich meinen Kopf abschalten oder über Dinge nachdenken, für die im Alltag keine Zeit ist. 

 

Ich weiß, dass es nicht jedem so geht wie mir, dass es nicht jeder lange alleine mit sich selbst und seinen Gedanken aushält. Viele Menschen empfinden dabei Langeweile. Gleichmut gegenüber der Gartenarbeit ist eine der Tugenden, die mich mein Garten lehrt: nicht aufgeben, immer weiter machen. Und wenn die Ernte in diesem Jahr schlechter ausfällt, kommt bald ein neues Jahr, in dem mein Garten und ich es aufs Neue miteinander wagen können.

 

Der Garten verzeiht, vielleicht schneller als mein Gegenüber

Es beruhigt mich zu wissen, dass mir mein Garten meine Fehler verzeiht. Egal was ich tue, er kommt irgendwie mit den veränderten Bedingungen zurecht und wächst. Der Garten ist in ständigem Wandel, ganz wie ein Kaleidoskop, auch dann, wenn wir nicht eingreifen. Wer gärtnert, entdeckt Jahr für Jahr eine neue Welt in seinem Stück Grün. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir uns um die Erhaltung alter Sorten an Gemüse kümmern, unser Wissen um Wildkräuter oder Rosen erweitern oder einen naturnahen Garten mit allem, was dazu gehört, anlegen. 

 

Letztlich will ich das Richtige tun. Wie auch in allen anderen Bereichen des Lebens habe Sehnsucht danach, ein gutes Leben zu führen. Mein Garten lehrt mich, geduldig zu sein. Für mich unsteten Mensch ist es immer eine Herausforderung zu warten. Gärtnern bedeutet für mich immer warten: Wenn ich einen Baum pflanze, warte ich darauf, dass er Früchte trägt und er groß genug ist, dass ich hinaufklettern kann. Wenn ich Sonnenblumen gesät habe, warte ich darauf, dass sie blühen. Und nein, wenn ich Unkraut gejätet habe, warte ich nicht darauf, dass neues nachwächst ;-).

 

"Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor zwanzig Jahren.
Die nächstbeste Zeit ist jetzt."

Afrikanisches Sprichwort

 

Und dann ist da noch mein Bedürfnis nach Ordnung und Struktur. Die Kontrolle, die ich am liebsten über mein ganzes Leben haben möchte, macht auch vor meinen Garten nicht Halt. Der menschliche Gestaltungswille ist es, der einen Garten ausmacht. Mir ist klar, dass ich das, was in der die Natur passiert, nur mit großer Anstrengung beeinflussen kann. Sie verändert sich fortwährend, ist unberechenbar. Genauso wenig kann ich auf das Wetter Einfluss nehmen. Das Einzige, was ich tun kann, ist mich anzupassen, Strategien auszudenken, die meine Pflänzchen schützen.

 

Manchmal wünsche ich mir eine Laube in meinem Garten, in der ich in aller Ruhe sitzen kann, ohne gestört zu werden. Ich würde den Gedanken über meinen Alltag nachhängen und neue Gartenprojekte planen. (Foto: Kate Tandy/Unsplash)

Manchmal wünsche ich mir eine Laube in meinem Garten, in der ich in aller Ruhe sitzen kann, ohne gestört zu werden. Ich würde den Gedanken über meinen Alltag nachhängen und neue Gartenprojekte planen. (Foto: Kate Tandy/Unsplash)

 

 

Mehr Toleranz: Plädoyer fürs Unkraut

Welches Verhältnis hast du zu den Pflanzen in deinem Garten, die du nicht willentlich gepflanzt hast? Es gibt keinen Garten ohne jene Pflanzen, die nicht immer wieder von selbst wiederkommen. Du kannst sie entweder tolerieren, vielleicht sogar auf deinen Speiseplan nehmen, oder stetig bekämpfen. Interessant die Frage, die Brunhilde Bross-Burkhardt in diesem Zusammenhang stellt: Kann es sein, dass du im Leben abseits deines Gartens offener und verständnisvoller wirst, wenn du im Kleinen das Fremde akzeptierst?

 

 

"Wer mich kennen lernen will, muss meinen Garten kennen,
denn mein Garten ist mein Herz."

Hermann Fürst Pückler-Muskau

 

Dieses Zitat ist wie für mich gemacht. Vielleicht geht es dir genauso? Mein Garten spiegelt wieder, wie ich mich selbst wahrnehme: Da gibt es Ecken, in denen Dornen wuchern, die unaufgeräumt und wild sind, an die ich mich gar nicht rantraue, um sie in Ordnung zu bringen. Manchmal wünsche ich mir, dass mein Garten, gerade mal zwei Jahre alt, etwas dichter bewachsen wäre. So, dass man Äste beiseite schieben muss, um hinein zu gelangen, sich aber dann umso wohler fühlt in dem eingewachsenen Raum. Eine versteckte Laube wäre auch schön, in der man sitzen kann und in aller Ruhe, abseits des Alltags, das Geschehen im Garten beobachten kann.

 

Und dann ist da der ordentliche, aber etwas unkonventionell angelegte Vorgarten. Es gibt Rabatten, in denen das ganze Jahr über etwas blüht, durch attraktives Laub und einen herrlichen Duft blüht. Mein Garten ist ein Buffett für Gäste: Bienen, Schmetterlinge, Käfer, Eidechsen, Igel und welche tierischen Bewohner sich sonst noch wohl fühlen. Aber auch die Freunde meiner Kinder und meine Freunde sind immer willkommen auf eine Tasse Kaffee oder einen Grillabend mit Salat aus dem Garten.

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